Ich habe eine Weile gezögert, ob ich diesen Wettkampfbericht mit allen Details verfassen soll. Denn meine Teilnahme war damals nicht gerade frei von Dummheiten meinerseits, zu denen ich euch als Leser nicht anstiften möchte.
Aber beginnen wir von Vorne: Nach dem Transalpine Run im September war bei mir ehrlich gesagt sowohl was Wettkämpfe als auch was Training betrifft ein wenig die Luft raus.
Das Highlight des Jahres, auf das ich viele Monate hin gefiebert habe, war geschafft und all die Anspannung von mir abgefallen. Sollte das mein letztes Rennen in 2016 gewesen sein?
Das Wettkampfjahr 2016 ging doch weiter
Ganz zufällig fiel auch ein Trail Wettkampf in die Zeit unseres Urlaubs in Hongkong, mein Freund unterstellt mir jedoch auch gerne mal dass das von langer Hand geplant war. 😉 Da wir jedoch ohnehin die Insel Lamma besuchen wollten, konnte ich das Angenehme mit dem Angenehmen verbinden.
Leider ist mir drei Tage vor dem Wettkampf etwas unglaublich Dämliches passiert: Normalerweise bin ich keine Laufband-Läuferin, doch in unserem Hotel gab es ein Mini-Gym mit zwei Laufbändern und ich musste da natürlich drauf. Nach knapp zehn Minuten auf dem Laufband ist mir ein starker Schmerz in die rechte Wade geschossen. Ich dachte erst es sei vielleicht ein Krampf und wollte noch weiter laufen, aber das ging nicht. Ein paar WhatsApp Nachrichten mit meinem Physiotherapeuten und meiner Trainerin später lautete die Ferndiagnose „möglicherweise Muskelfaserriss“. Das war natürlich nicht gerade das, was ich lesen wollte. Also habe ich erst einmal die Wade gekühlt und ab und zu vorsichtig gedehnt.
Die nächsten beiden Tage und Nächte habe ich meine CEP Kompressionssocken getragen und war unendlich sauer auf mich wegen dieser dummen Laufbandgeschichte. Natürlich hat die Wade ziemlich geschmerzt, aber leichte Bewegung in Form von Spaziergängen und Shopping war trotzdem möglich.
Lamma Fun Day, auch für mich?
Ob ich beim Lamma8 Trail starten kann habe ich erst direkt am Wettkampftag entschieden. Von Hongkong Island aus haben wir die Fähre nach Lamma Island genommen und ich war in meinen Laufsachen bereits in bester Gesellschaft. Also doch starten? Ja!
Es tummelten sich schon mehrere, nach Trail aussehende Läufer mit ihren Trinkrucksäcken am Pier. Auf der Insel angekommen ging es in einem kurzen Fußmarsch durch ein Fischerdorf, hinter dem emsig für die Veranstaltung aufgebaut wurde.
Das Rennen fand anlässlich des Lamma Fun Days statt. Einem großen Charity Event für Hilfsprojekte in Nepal, an dem fast die gesamte Insel beteiligt war. Der 8,5 Kilometer lange Rundkurs führte über den nordöstlichen Teil der Insel bis hinunter zur Sok Kwu Wan Tempelanlage und an der Westküste wieder zum Ausgangspunkt zurück. Dabei gab es auf dem mittleren Streckenabschnitt die Gelegenheit, den jeweils entweder zur oder bereits von der Wendemarke kommenden Läufern zu begegnen, da wir uns diesen Teil des Weges teilen sollten.
Bereits am Morgen war die Temperatur auf 27C gestiegen und es herrschte eine Luftfeuchtigkeit von 76%. Ich war aufgeregt wie vor jedem Rennen und fragte mich nun, ob mir die zwickende Wade oder das Klima mehr zu schaffen machen würde. Ich wollte einfach unbedingt an diesem Rennen teilnehmen und meine Wettkampfsaison in 2016 in Hongkong beenden.
Es hieß also für mich zwanzig Minuten vor dem Start: Dehnen, aufwärmen und einlaufen. Meine Wade hat sich nicht wirklich gut angefühlt und so habe ich mich ziemlich nervös in die Startaufstellung eingereiht. Es galt noch einige Minuten bis zum Startschuss zu überbrücken und die Veranstalter hatten uns auch noch etwas zur Route zu sagen.
Dann war es endlich so weit und es ging los. Ich hatte mich gewohnheitsmäßig weit vorn in den Startblock gestellt und wie immer versucht, mich nicht vom allgemeinen Blitzstart der meisten Läufer mitreissen zu lassen, da es die ersten beiden Kilometer ziemlich steil bergauf gehen sollte.
Gefühlt langsamer als sonst, aber gleichmäßig bin ich den Berg hinauf gelaufen und konnte einige der vor mir laufenden Teilnehmer überholen. Die Wettkampf-Euphorie hatte mich natürlich gepackt und die Wade war kaum zu spüren.
Auf dem höchsten Punkt der Straße sind wir endlich ins Gelände abgebogen, um auf einem hügeligen Pfad zum Südteil der Insel zu laufen. Dieser Abschnitt der Strecke hat mir besonders Spaß gemacht und ich habe Gas gegeben, so weit ich das bei dem Klima konnte.
Leider mussten wir den Trail bald schon wieder gegen Betonuntergrund eintauschen und auf schier endlos erscheinenden Stufen nach unten ins Tal laufen. Im Mittelteil des Rennens mussten wir auf 1,5 Kilometern auf dem Hin- und Rückweg die selbe Strecke laufen. Und so habe ich beim hinunter rennen der Treppen nur gedacht: Mist, das musst du gleich alles wieder hinauf schnaufen.
Die Hitze und die Luftfeuchtigkeit haben mir richtig viel abverlangt und selbst das bergab laufen war anstrengender, als ich es gewohnt war. Auf dem Weg zu unserer Wendemarke mussten wir ein kleines Dorf passieren und dort standen tatsächlich zwei Frauen am Straßenrand, die uns Läufer angefeuert haben. Als sie mir zuriefen „First woman!“ war ich etwas baff und freute mich riesig, dass ich vorne lag.
Die ersten schnellen Jungs kamen mir nun schon wieder entgegen – der Wendepunkt war nicht mehr weit. Unser Zeiterfassungs-Chip war an einem Armband, das am Wendepunkt von Helfern per Handy abgelesen wurde. Das dauerte ein paar Sekunden und schon konnte ich mich auf den Rückweg machen.
Nun kam ich den Läufern entgegen, die auf dem Weg zur Wendemarke waren und hatte dabei natürlich einen Blick darauf, in welchem Abstand die nachfolgenden Läuferinnen folgten. Kurz vor den Treppen, die ich nun wieder hoch laufen musste, war mein Schnürsenkel aufgegangen! So konnte ich nicht weiter laufen. Jetzt hieß es also anhalten, Schuh binden und nicht zu viele wertvolle Sekunden verlieren! Dann ging es bergauf.
Hält die Wade und das Schuhband auch auf der zweiten Hälfte des Rennens?
Ich hatte das Gefühl, mein Kopf und meine knallpinken Laufsocken müssten spätestens jetzt die selbe Farbe haben. Das war ein Geschnaufe dort rauf! Der Rückweg kam mir auch viel länger vor als der Hinweg und ich habe sogar einen Traubenzucker nehmen müssen, was sonst bei Läufen unter zehn Kilometern nicht vorkommt.
Wir sind auf dem Rückweg auf der anderen Küstenseite der Insel entlang gelaufen und ich hatte nur kurz die Gelegenheit, die wundervolle Aussicht zu genießen. Denn volle Aufmerksamkeit war gefordert, da der Rückweg gefühlt nur aus Treppen bestand: Rauf, runter, rauf und wieder runter. Nahe der Küste ging es auf einen langgezogenen Downhill und es waren nur noch zwei Kilometer bis ins Ziel zurückzulegen.
Bergauf und auf den hügeligen Trails war ich richtig gut in Fahrt und nur durch das Klima limitiert. Bergab aber meldete sich meine rechte Wade immer deutlicher mit stechenden Schmerzen. War es das wert?
Endlich war dieser lange Downhill geschafft und ich sah die Lokale und den Strand und wusste, dass es nur noch wenige hundert Meter bis ins Ziel sein müssen. Das schaffe ich noch!
Verdammt!! jetzt war mir das rechte Schuhband zum zweiten Mal aufgegangen. Und ich hörte schon die hinter mir laufende, bisher zweite Frau, immer näher kommen. Aber hilft ja alles nichts, denn mit einem Sturz wollte ich das Rennen nicht beenden. Es hieß also wieder Schuh binden. Währenddessen wurde ich überholt. Mit dem Schnürsystem meiner bisherigen Wettkampfschuhen von Salomon wäre das nicht passiert.
Noch einmal antreten, auf die Zähne beißen und die letzten 200 Meter bergab laufen. Endlich kam die letzte Kurve vor dem Ziel und es war geschafft! Tatsächlich habe ich dieses Rennen als zweite Frau finishen können. Ich konnte es gar nicht so richtig fassen und als die Anspannung des Rennens sich legte, wurden die Schmerzen in der Wade immer größer.
Zur Siegerehrung bin ich nur noch gehumpelt. Dort gab es dann aber eine echt schöne Überraschung: Die drittplatzierte Frau wohnt zwar in Hongkong, kommt aber aus Deutschland. Es ist Silke Bender, die gemeinsam mit ihrem Partner, dem The North Face Athleten Vlad Ixel, an den Start gegangen ist. Silke gibt in Hongkong Yogastunden und Workouts speziell für Läufer. Schade, dass ich nun leider keine Gelegenheit mehr haben würde, eine ihrer Stunden zu besuchen, denn am darauffolgenden Tag sind wir wieder nach Hause geflogen.
Was habe ich daraus gelernt?
Zurück in München bin ich natürlich gleich etwas kleinlaut zu meinem Orthopäden Dr. Burghart gedackelt. Wie bereits vermutet hatte ich einen Muskelfaserriss in der Wade. Nun hieß es pausieren und Physiotherapie. Aber aus dieser ganzen Geschichte ist für mich eine Erkenntnis gereift, die ich als guten Vorsatz mit ins neue Jahr nehme und auch gerne an alle anderen ambitionierten und ehrgeizigen Läufer weitergeben möchte: Macht keine Dummheiten mehr!
Ich würde nie wieder verletzt in einen Wettkampf gehen. Auch, wenn ich damit „durchgekommen“ bin, habe ich eine längere Laufpause in Kauf genommen, als nötig gewesen wäre. Die Entscheidung nicht an einem Wettkampf teilzunehmen, auf den man sich so gefreut und vielleicht auch sehr gut vorbereitet hat, ist nicht leicht. Und ich habe eine solche Entscheidung in diesem Jahr auch schon treffen müssen und werde mich in 2017 versuchen an die damalige Vernunft zu erinnern. Im Zweifel hätte ich auch in Hongkong die langfristige Gesundheit über den kurzfristigen Wettkampfmoment stellen sollen. Und vor allem werde ich so kurz vor einem Wettkampf keine Dummheiten oder Experimente mehr machen!
16 Comments
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