Am letzten Wochenende hat die mittlerweile 8. Auflage des Zugspitz Ultratrails in Grainau stattgefunden.
Anfang und Ende dieses Wochenendes sind eigentlich immer gleich und somit ein herrlich berechenbarer Rahmen – Die Zeit dazwischen ist eine große Überraschungskiste. Mario und ich hatten an diesem Wochenende sprichwörtlich die volle Ladung bestellt. Denn auf 102 Kilometern kann ja eine Menge passieren…
Wir sind Freitag Mittag in Grainau angekommen, haben unsere Startunterlagen abgeholt, sind über die Expo geschlendert und haben ausgiebig mit ein paar Bekannten gequatscht, die sich auch immer auf den Trail Runs des Veranstalters Plan B tummeln. Es folgte die Eröffnungsfeier mit Pasta Party und dem Race Briefing im Musikpavillon. Das ist auch der Ort, in dem am Sonntag mit den Siegerehrungen und dem Gruppenbild der Finisher alles endet. Unser Plan war natürlich am Sonntag dort mit einem Finisher Shirt zu sitzen. Werden wir das schaffen?
Am Samstag Morgen standen Mario und ich nach dem Ausrüstung-Check im Startbereich. Wir haben uns auf den „Highway to Hell“ und auf einen landschaftlich atemberaubenden, aber auch unglaublich anstrengenden Lauf gefreut. Pünktlich um 7:15 Uhr setzte sich die Blaskapelle in Gang und alle Teilnehmer durften hinterher gehen. An der nächsten Kreuzung war der Start freigegeben und Mario und ich trabten mit den anderen 565 Startern los.
Zunächst ging es über ein kurzes Stück Straße, dann über schmale Wanderwege ging es leicht ansteigend zum Eibsee. Die erste Zeitnahme mit Verpflegungspunkt war relativ schnell durchlaufen. Es folgten Anstiege auf Skipisten, die ich im Winter bereits mit meiner Outdoor Community Never Stop München in Schneeschuhen hinauf gewandert und hinunter gerannt bin. Die Sonne hat uns bereits gut eingeheizt und so sind wir möglichst am Rand der Piste, im Schatten, bergauf gegangen. Im Schnee kamen mir die Anstiege deutlich länger vor und so war ich ziemlich überrascht, wie schnell wir am zweiten Checkpoint angelangt waren.
Wir haben uns gut Zeit gelassen um nicht schon zu Beginn die ganze Kraft raus zu ballern. Aber es war bereits am Vormittag zu spüren, dass es durch die anspruchsvolle Strecke und die Hitze ein forderndes Rennen werden würde. Wir befanden uns nun mitten in den großen Anstiegen. Das Gelände war hochalpin und die Ausblicke und Panoramen gigantisch.
Hinter der Pestkapelle haben wir das Tempo noch weiter verlangsamt. Mario hatte kurz vor dem Feldernjöchel durch die Hitze etwas mit seinem Kreislauf zu tun. Daher bin ich voraus gegangen und habe dann jeweils vor dem nächsten Downhill auf ihn gewartet.
Wer unsere Durchgangszeiten an den weiteren Verpflegungspunkten gesehen und sich vielleicht etwas gewundert hat: Wir hatten bereits vor dem Rennen darüber gesprochen, dass diesmal jeder sein eigenes Tempo läuft. Deshalb habe ich mich nach einer Rutschpartie auf einem noch relativ großen Schneefeld von ihm getrennt. Vorher habe ich mich aber noch bei Mario erkundigt, ob es ihm gut geht.
Nun folgte ein Downhill mit Forststraßen Serpentinen, die ich im geistigen Leerlauf hinunter gerannt bin. Dabei war ich so im Flow, dass ich beinahe den Abzweig auf den Trail übersehen habe. Glücklicherweise hat ein Läufer von hinten gerufen, dass ich nun abbiegen müsse. 🙂 Dann war es auch schon nicht mehr weit bis zur Hämmermoos Alm, einem weiteren Checkpoint. Dort habe ich noch bis zum Eintreffen von Mario Pause gemacht. Er wollte direkt auf der Alm einkehren, um sich ein kühles Getränk zu kaufen. Ein Radler, wie ich später erfahren habe. Naja, kann man mal machen. 😀
Das nun folgende Teilstück von der Hämmermoos Alm bis zum Hubertushof war nochmal richtig hart. Der Aufstieg zum Scharnitzjoch stand an. Langsam, aber stetig ging es zuerst ein paar Wald-Trails bergauf, bis das Gelände immer hochalpiner wurde. Vereinzelt kamen mir Wanderer und Kletterer entgegen und grüßten. Einige schauten etwas mitleidig, andere applaudierten oder sagten etwas Motivierendes. Das war echt toll und genau an diesen Anstiegen habe ich mich die ganze Zeit richtig wohl gefühlt.
Nach einer Schorle-Pause im kleinen Wettersteinhaus war ich fit für weitere Höhenmeter. Das es anstrengend war gebe ich gerne zu. Aber es war auch einfach traumhaft schön dort oben zwischen den herrlichsten Ausblicken, Blumenwiesen, Kühen und Schafen. Ich war Heidi – in Funktionsklamotten.
Der nun folgende Downhill bis zum Hubertushof war zu Beginn etwas technisch, später dann auf flowigen Trails im Wald aber prima zu laufen. Trotzdem habe ich mich schon auf meine Wechselschuhe aus dem Drop Bag und auf die Verpflegung am nächsten Checkpoint gefreut. Laut Mario sollte es an der V5 immer besonders lecker sein. So kannte ich es zumindest aus seinen Erzählungen von den vorangegangenen Teilnahmen auf dem Ultratrail.
Doch bevor es ans Buffet ging, musste jeder durch das Zelt der Medical Crew zum Medizin Check. Ehrlich gesagt habe ich mir den relativ inquisitorisch vorgestellt. Doch es war zumindest für mich nicht der Rede wert. Brav habe ich direkt vorm Zelt gestoppt, in der Annahme, dass ich zumindest ausgefragt werde wie es mir geht. „Du kannst einfach durchgehen.“, entgegnete mir die Ärztin, als sie mich bemerkte. Oh, cool. Das wars schon?
Nachdem ich ein paar Kartoffeln und mehrere gekochte Eierhälften mit Salz verdrückt hatte, habe ich mir noch die neuen Schuhe angezogen, ein wenig mit anderen Teilnehmern gequatscht und bin dann ganz entspannt weiter gelaufen. Denn nun kam ein langes, relativ flaches Stück für mindestens 15 Kilometer. Auf dem galt es, zügig Strecke zu machen. Die nächsten beiden Verpflegungspunkte konnte ich somit relativ zügig hinter mich bringen.
Jedes Mal aufs neue habe ich übrigens die verbleibenden Kilometer „to go“ gefeiert. Nur noch 70, 60, 50 – und hinterm Ferchensee sollte schon bald das Schild „30 km to go“ kommen.
Allerdings gab es da etwas, das mich seit dem Nachmittag beschäftigt hat: Mein Handy hatte sich aufgehängt. Schlimm genug, dass ich bereits eine Weile keine Fotos mehr machen konnte, ich habe auch nicht mehr mitbekommen, was in unserem ZUT 2018-Chat so los war. Also habe ich mir nun die Zeit genommen, mich auf einen Stein am Weg gesetzt und versucht das Handy wieder in Gang zu bringen. Das einzige, was noch funktionierte, war die Notruf Funktion. Das war für mein Verbleiben im Rennen am Wichtigsten. Denn ein funktionierendes Handy, mit dem man Hilfe rufen kann, ist Teil der Pflichtausrüstung auf diesem Lauf.
Nachdem gut eine halbe Stunde ins Land gegangen war, musste ich einsehen, dass ich dieses Problem nicht lösen konnte. Ich habe meine Stirnlampe aus dem Laufrucksack gekramt und wollte weiter gehen, als eine andere Teilnehmerin heran gelaufen kam, und mir sagte, sie glaubt, dass Mario ausgestiegen ist. Was?! „Niemals, Mario gibt nicht auf!“ Habe ich wie aus der Pistole geschossen entgegnet. Nachdem sie ihre Kopfhörer wieder aufgesetzt hatte und weiter lief, ging bei mir allerdings doch das große Grübeln los.
Ja, Mario hat bereits am Vormittag mit der Hitze zu kämpfen gehabt. Aber er wollte langsam laufen. Ging es ihm wirklich so schlecht, dass er kurz vorm Aussteigen steht? Durch mein abgeschmiertes Telefon habe ich mit Mario leider keinen Kontakt aufnehmen können. Verdammt, dieser Spruch hat mich schon ziemlich aus der Bahn geworfen. Aber ich bin weiter gelaufen, habe versucht meine Gedanken und Optionen zu sortieren und habe bei der nächsten Station der Bergwacht nach seiner Startnummer suchen lassen. Erleichterung: Er war noch im Rennen.
Fortan habe ich mich ab und zu bei der Bergwacht erkundigt ob er weiter läuft. Ich hatte mich entschieden, ab jetzt deutlich langsamer zu laufen in der Hoffnung Mario schließt doch noch auf und wir könnten den letzten großen Anstieg am Kälbersteig und dem Osterfelder Kopf gemeinsam bewältigen. Denn der Kälbersteig ist Marios Hass-Strecke. Ich hingegen finde ihn gar nicht so schlimm. Im Dunkeln allerdings war er allerdings echt eine harte Nummer. Das steile Gelände mitten im Wald, auf dem man durch Latschen hindurch und steile Absätze hinauf kraxeln musste. Das sah im Schein der Stirnlampe so unwirklich aus.
Natürlich war der gesamte Lauf auch für mich richtig kräftezehrend. Genau vor vier Monaten hatte ich mich beim Skifahren verletzt und kann eigentlich erst wieder seit zweieinhalb Monaten laufen. Deshalb war es mittlerweile wirklich okay für mich, langsam und kraftsparend zu gehen.
Mario war weiterhin irgendwo hinter mir. Eigentlich war mein Plan, hier oben in der warmen Hütte sitzen zu bleiben und auf ihn zu warten. Doch dann habe ich ein Gespräch der Medical Crew über eine andere Läuferin mitbekommen, die sich kurz hinlegen wollte. Irgendwas mit Laktat setzt sich fest und es viel die Grenze 30 Minuten. Okay, dann sollte ich mich doch auch besser auf den Weg machen und die letzten 12 Kilometer in Angriff nehmen. Irgendwann müsste Mario ja dann auftauchen, davon war ich immer noch fest überzeugt.
Bereits auf dem Downhill und kurz vor der letzten Verpflegungsstation ist ein Läufer in einem Affenzahn an mir vorbei gelaufen. Das war Mario! Ich hatte mich in der Nacht umgezogen und meinen Laufrock gegen eine lange Hose getauscht – dadurch hat er mich beim überholen nicht erkannt. 😀
Ich fand die Situation skurril aber auch einfach nur lustig. Natürlich ist mir ein Stein vom Herzen gefallen. Es ging ihm gut und den Jägersteig, den er nach der 6. Teilnahme beim ZUT wirklich gut kennt, würde er quasi hinunter fliegen, bis ins Ziel.
Die Jungs am letzten Checkpoint haben ihn richtig derb gefeiert, als er einfach durch gerannt ist. Auf mein Rufen hat er übrigens nicht reagiert, denn er hatte ziemlich lauten und wohl auch ziemlich progressiven Rock auf den Ohren.
Ich bin den Jägersteig in verhaltenem Tempo herunter gelaufen. Auf den letzten Metern wollte ich mich nicht noch lang machen. Die letzten Kilometer auf der Teerstraße haben sich wie Kaugummi gezogen. Ich hatte das Gefühl, nie anzukommen. Doch irgendwann kam endlich der Kurpark und ich habe aus Richtung Ziel den Moderator meinen Namen sagen hören. Mario hat bereits gewartet. Was für ein Lauf! Wir haben ihn geschafft, den langen, anstrengenden und doch wunderschönen Weg ums Wettersteingebirge.
Und ich habe auf den 102 Kilometern auch wieder eine ganze Menge gelernt.
Wenn mir davor jemand gesagt hätte, dass ich verletzungsfrei und ohne mich übermäßig zu quälen ins Ziel kommen würde, hätte ich das so gekauft. Als ich gemerkt habe, dass an dem Tag doch mehr gehen könnte, habe ich im Nachhinein schon etwas mit mir und meiner Zielzeit gerungen. Ich wußte nicht so recht, wie ich den Erfolg einordnen soll. Natürlich ist Mario ein erfahrener Läufer und wir hatten auch eine Absprache. Doch nach der beunruhigen Nachricht einfach weiterzulaufen hätte sich für mich falsch angefühlt. Rückblickend würde ich mich wohl wieder so entscheiden, denn am Ende steht für mich die Erkenntnis, dass Freundschaft und Teamspirit wichtiger sind als der einsame Erfolg. Den nächsten Lauf bestreiten Mario und ich wieder von Anfang bis Ende gemeinsam.
Ein großes Dankeschön an die Organisatoren von Plan B, sowie Hafenmaier – Berge erleben für die Streckenplanung und die perfekte Versorgung von uns Läufern an allen Checkpoints. Einen richtig tollen Job hat auch wieder die Bergwacht gemacht. Danke für die Motivation und das ihr mir geduldig Auskunft gegeben habt, ob Mario noch im Rennen ist.
Ein ganz besonderer Dank gilt natürlich auch allen unseren Unterstützern, Freunden und Familien, die mit uns mitgefiebert haben.
21 Comments
Valerie
22. Juni 2018 at 6:52Ein richtig schöner Bericht, der Lust macht, selbst die nächsten Berge laufend zu erkunden! Bei dir liest sich diese Strecke, als wäre sie nicht anstrengender als der sonntagliche Long-Jog! Wahnsinn! Irgendwie unvorstellbar für mich. Lieben Gruß aus Wien, Valerie 🙂
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22. Juni 2018 at 7:10Toller Bericht! Jetzt habt ihr euch die 100 km Socken wahrlich erlaufen und verdient! Ganz besonders nach dem Psycho-Krimi wegen Mario.
Macht weiter so!
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